Intention und Auslegung liegen bei der EU-Fluggastrechteverordnung weit auseinander. Die airliners.de-Serie zur Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zeigt die Irrungen und Wirrungen, die zu einem überbordenden Verbraucherschutz zu Lasten der Fluggesellschaften geführt haben. Einmal im Monat veröffentlichen wir Urteilsanmerkungen von Fachanwälten zu richtungsweisenden Entscheidungen. Im ersten Teil geht es um den Gründungsmythos und handwerkliche Fehler der europäischen Fluggastrechteverordnung.
Sollte die Geschichte nicht stimmen, ist sie wunderbar erfunden: die spanische Politikerin und EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio (1999 bis 2004) möchte mit der Fluggesellschaft Iberia von Brüssel nach Barajas-Madrid fliegen. Die Maschine ist überbucht und ihr wird die Beförderung verweigert. Dies erzürnt die Kommissarin so sehr, dass sie umgehend ihren Generaldirektor anruft, um die Revision der alten "Überbuchungsverordnung" (EWG) Nr. 295/91 beziehungsweise den Entwurf einer gänzlich neuen Verordnung zu veranlassen.
Ob es tatsächlich zu dieser reflexhaften Anweisung gekommen ist oder nicht, wird sich wohl abschließend nicht mehr klären lassen. Plausibel erscheint dieser "Gründungsmythos" zur heutigen Fluggastrechteverordnung (EG) Nr. 261/2004 hinsichtlich der Geschwindigkeit der Umsetzung der Verordnung allemal, gerade wenn man sich die juristischen und handwerklichen Schwächen der Verordnung vor Augen führt. So fehlen unter anderem wesentliche Definitionen. Zudem sind die Zuständigkeiten der nationalen Gerichte sowie der Anwendungsbereich der Verordnung an sich nicht klar und abschließend geklärt.
Auch wenn die Verordnung aus den genannten Gründen seit ihrer Einführung zu viel Zwietracht geführt hat - in einem sind sich Richter, Verbraucher- und Airline-Anwälte, Behörden und wohl auch die Fluggastportale einig: die am 17. Februar 2005 in Kraft getretene und bisher durch den EU-Verordnungsgeber unangetastete Fluggastrechteverordnung ist juristisch ein Flop.
Hunderte Verfahren beim EuGH
Dessen ungeachtet bietet sie seit über 15 Jahren die rechtliche Basis für die Ausgleichsleistungen von Millionen von Fluggästen im Falle von Überbuchung, Annullierung oder großer Verspätung. Zwischenzeitlich wurde der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg über 200 Mal angerufen, um im Rahmen sogenannter Vorabentscheidungsverfahren, initiiert durch Gerichte der EU-Mitgliedstaaten, Antworten auf Fragen zur Anwendbarkeit und Auslegung der Verordnung im Lichte des Europarechts zu geben.
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