"Auf Wasserstoff-Flugzeuge können wir nicht warten", ©
Arne Roth ©
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Im Interview mit airliners.de spricht Dr. Arne Roth vom Fraunhofer-Institut über die verschiedenen Technologien, mit deren Hilfe die Luftverkehrbranche klimafreundlich werden will, über die Notwendigkeit politischer Rahmensetzungen und Nutzen und die Nachteile von Wasserstoff.

airliners.de: Herr Roth, Sie forschen an den Kraftstoffen der Zukunft. Gibt es schon den Zauberweg, der die Luftverkehrsindustrie klimaverträglich macht?

Dr. Arne Roth: Nein, den kenne ich nicht. Es gibt auch noch keine goldene Lösung. Und ehrlich gesagt, die wird es auch nicht geben.

Warum nicht?

Weil es nicht sinnvoll wäre, auf einen einzigen Weg zu setzen. Denn was wir brauchen, ist ein Technologie-Mix. Die gute Nachricht ist: Es gibt zu weiten Teilen auch schon mehrere Verfahren, mit denen wir die nachhaltigen Kraftstoffe für die Luftfahrt der Zukunft bereitstellen können.

So etwas, wie eine auf Biomasse oder Lebensmitteln basierende Linie und auf der anderen Seite eine auf Strom setzende Lösung, bei der aus CO2 und Wasser Kerosin hergestellt wird?

Es gibt eigentlich nur ein Verfahren, das aktuell existiert und auch schon in einem wirklich großen technischen, also industriellen Maßstab zur Verfügung steht, um erneuerbares Kerosin herzustellen. Das ist der sogenannte Hefa-Prozess.

Wie funktioniert dieser Prozess?

Beim Hefa-Verfahren werden Fette und Öle als Rohstoff genutzt. Das können Abfälle wie Altfette oder auch tierische Abfälle oder tierische Fette sein. Auch Öle aus dem Anbau wie Rapsöl zum Beispiel zählen hierzu, früher nutzte man auch das Palmöl. Das ist alles technisch möglich, und es gehört alles zu demselben Produktionspfad. Die Verfügbarkeit der Rohstoffe ist begrenzt. Dennoch ist es das einzige Verfahren, das es gibt, mit dem momentan wirklich nennenswerte Tonnagen an nachhaltigem Kerosin bereitgestellt werden können. Alle anderen Verfahren zur Gewinnung nachhaltiger Kraftstoffe sind weniger weit entwickelt und stehen noch nicht im ganz großen Maßstab zur Verfügung.

Dabei wird immer noch dieses "Zauberverfahren" angewandt, dass Fischer und Tropsch vor rund hundert Jahren erfunden haben?

Ja, das ist der Fall. Das ist ein hochaktuelles Verfahren. Immer noch. Aber das Fischer-Tropsch-Verfahren kann keine Biomasse umsetzen, sondern ein Synthesegas, ein Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, verflüssigen, woraus dann in weiteren Schritten nachhaltiges Kerosin gewonnen werden kann. Zu diesem Synthesegas kann ich auf ganz unterschiedlichen Wegen kommen. Ich kann zum Beispiel Biomasse vergasen. Das wird thermisch gemacht, es wird stark erhitzt und unter Beisein einer gewisse Menge an Luft, also Sauerstoff, dann vergast. Anschließend muss man das Verhältnis von Wasserstoff und Kohlmonoxid korrekt einstellen, so dass es für die Fischer-Tropsch-Synthese nutzbar ist. Das Fischer-Tropsch-Verfahren kann man auch mit Kohle vollziehen. Auch mit Erdgas ist das möglich.

Mit diesem Verfahren sind Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg geflogen. Also kennt man es schon sehr lange.

In der Tat ist es für Länder ohne Erdöl erfunden worden, die aber Kohlevorkommen haben. Dazu zählt auch Südafrika, das über enorm viel Kohle verfügt, aber eben über kein Erdöl.

Wenn man die Verfahren schon so lange kennt, warum ist man noch nicht viel weiter mit nachhaltigen Kraftstoffen?

Das Fischer-Tropsch Verfahren ist nur ein Teil der gesamten Prozesskette. Ein wichtiger Punkt ist etwa die Skalierung, wie groß man die Anlagen baut. Wenn man Kohle nutzt, wie in Südafrika, ist der Rohstoff in sehr großen Mengen verfügbar, daher kann man sehr große Fischer-Tropsch-Anlagen bauen, so dass sie ökonomisch sehr effizient laufen. In diesen Größenordnungen kann man bislang keine Anlagen für Biomasse oder für sogenannte Power-to-X-Verfahren errichten, bei dem mit Strom aus CO2 und Wasserstoff Kraftstoffe hergestellt werden. Da muss man zu wesentlich kleineren Maßstäben übergehen, was wiederum ganz andere Herausforderungen mit sich bringt. Aber im Prinzip ist die Fischer-Tropsch-Synthese uralt und funktioniert sehr gut. Die Herausforderung ist eher, wie ich auf nachhaltige Weise zu dem Synthesegas komme, das ich für das Verfahren brauche.

Was sind die größten Hindernisse?

Technisch gibt es schon verschiedene Projekte, die auch beispielsweise aus Müll oder Restholz aus der Forstwirtschaft ein Synthesegas herstellen, das dann über Fischer-Tropsch verflüssigt und in Kraftstoffe umgewandelt wird. Aber wenn wir jetzt Richtung Luftfahrt gucken, dann ist die eigentlich größte Hürde gar nicht unbedingt technischer Natur.

Wo liegt das zentrale Problem?

Es ist eine ökonomische Frage und eine Frage des politischen Willens. Die Verfügbarkeit der Rohstoffe ist auch eine große Frage. Wir reden von 200 bis 300 Millionen Tonnen pro Jahr, nur jetzt gerade in der Coronakrise nicht, aber der Verbrauch wird wieder in dieser Größenordnung sein. Das heißt, wir reden von einem Sektor mit sehr großem Kraftstoff-Bedarf. Da muss man natürlich auch die erneuerbaren Rohstoffe bereitstellen. Das wird nicht nun über Biomasse funktionieren, sondern wir brauchen auch nicht-biogene Ansätze. Andere Pfade, die etwa auf Strom aufbauen wie das Power-to-X-Verfahren.

Was ist die Konsequenz?

Das ist ein wichtiger Grund, warum wir seit über zehn Jahren über alternative Kraftstoffe für den Luftverkehr diskutieren, aber noch immer nur verschwindend geringe Mengen im Kerosinmix haben. Der Grund, warum nicht mehr produziert wird, ist der Kostennachteil von nachhaltigem Kerosin. Es kommt jetzt aber Bewegung in diesen Bereich. Ich bin zwar kein Ökonom und kann daher nicht die perfekte regulatorische Lösung vorstellen, aber eine Idee finde ich doch sehr spannend.

Nämlich welche?

Ich meine eine Deckelung und schrittweise Reduktion des CO2-Fußabdrucks des Kerosinmixes. Dadurch wird die Beimischung eines bestimmten Anteils an erneuerbarem Kerosin mit einem kleinen Fußabdruck erzwungen. Dieser Ansatz ist technologieoffen, wichtig ist nur, dass die beigemischte Komponente nachhaltig produziert worden ist und eine günstige CO2-Bilanz aufweist.

Anders also als eine bloße Beimischungsquote, wie es sie in Deutschland gibt.

Wenn man sagt, in ein paar Jahren darf der CO2-Fußabdruck nur noch einen bestimmten Wert haben, der deutlich unter dem von herkömmlichem Kerosin liegt, ist man einen großen Schritt weiter. Wenn dieser Grenzwert kontinuierlich abnehmen würde, wäre das eine interessante Idee. Die Kosten, die die Airlines für ihre Energieträger aufbringen müssen, würden dadurch steigen. Es ist aber nicht so dramatisch, dass die Tickets dann alle doppelt so teuer wie etwa heute würden. Schon vor einigen Jahren war der Kerosin-Preis sehr hoch und trotzdem wurde viel geflogen. Wenn Airlines allerdings die Wahl zwischen günstigen und teureren Treibstoffen haben, nehmen sie die günstigeren, alleine schon durch den hohen Konkurrenzdruck in diesem Sektor. Schränke ich die Wahl aber ein, sieht es direkt anders aus. Natürlich dürfen keine Ungleichgewichte entstehen, so dass einzelne Airlines keine Nachteile haben.

Was ist also der Hauptpunkt?

Es ist eine Frage des politischen Willens. Wenn er da ist, funktioniert es. Man kann es nicht den Airlines allein überlassen, das wird nicht funktionieren. Man muss die Rahmenbedingungen setzen, damit der Bedarf da ist und die Technologien sich weiterentwickeln können und anwendbar sind. Bislang ist es nicht so, weil der Markt nicht da ist.

Wie sieht der CO2-Fußabdruck im Vergleich der einzelnen Verfahren aus?

Es gibt keine einfachen Antworten. Man kann auch mit Kraftstoffen aus Biomasse oder mit Power-to-X-Kraftstoffen einen schlechteren CO2-Fußabdruck hinterlassen als mit fossilem Kerosin, indem man zum Beispiel keinen erneuerbaren Strom einsetzt. Der Strommix, den wir beispielsweise in Deutschland haben, würde die Klimabilanz eines Power-to-X-Kerosins verhageln. Wenn man Strom hingegen aus erneuerbaren Energien nimmt, kann man zu sehr hohen CO2-Einsparungen kommen. Bei den Biokraftstoffen ist es genauso. Je nach Herkunft der Rohstoffe - und dazu zähle ich jetzt vereinfachend auch die für Power-to-X benötigte elektrische Energie - kann man synthetisches Kerosin mit guter oder schlechter Klimabilanz produzieren. Der Rohstoff CO2 muss auch bereitgestellt werden, das ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Eine Möglichkeit ist hier die Abscheidung aus industriellen Abgasen, etwa aus der Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Verbindungen. Das muss man in der ökologischen Bilanzierung korrekt berücksichtigen. Wir können auf jeden Fall riesige Mengen CO2 aus der Luft entnehmen, wenn auch mit einem gewissen technischen Aufwand.

CO2 gilt als ein träges Gas, was bedeutet das für das Verfahren?

Der klassische Weg beginnt mit der Bereitstellung von Wasserstoff, etwa durch Elektrolyse von Wasser, bei der das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Der Wasserstoff ist hier mein erster chemischer Energieträger. Der Wasserstoff wird dann mit CO2 umgesetzt, dabei wird Kohlenmonoxid gebildet. Dieses Kohlenmonoxid kann dann in einem Gemisch mit Wasserstoff, das Synthesegas, etwa in einer Fischer-Tropsch-Synthese verflüssigt werden. CO2 ist in der Tat eine energiearme, stabile und träge Verbindung, weil es das Endprodukt der Verbrennung oder Atmung, letztlich sämtlicher Kohlenstoff-Nutzungskaskaden, ist. Wenn ich den Kohlenstoff-Kreislauf schließen will, muss ich das CO2 als Rohstoff wiederverwenden. Das macht man im Grunde bei allen erneuerbaren Rohstoffen, auch bei Biomasse. Denn die Pflanzen machen nichts anderes, als dass sie CO2 nutzen und durch Photosynthese mühsam wieder in organische Verbindungen umsetzen. In diesem Sinn sind Power-to-X-Ansätze nichts anderes, nur dass man elektrische Energie anstelle des Lichts nimmt, um aus CO2 wieder eine energiereiche Verbindung zu machen – und auch das kostet Energie.

Alle Verfahren benötigen Wasser. Aber besonders durch den Klimawandel wird das Wasser in einigen Regionen knapp. Ist das ein Problem?

Wir haben riesige Mengen Wasser auf der Erde. Zur Gewinnung von Wasserstoff für Power-to-X-Prozesse kann man auch Salzwasser nutzen. Natürlich muss man da noch etwas Energie für die Entsalzung nutzen, das ist aber kein technisches Problem, die dafür benötigte Energie ist im Vergleich zu der Energie, durch die die Elektrolyse angetrieben wird, eher gering. Man ist also nicht auf kostbares Süßwasser angewiesen, an Wasserknappheit scheitern Power-to-X-Prozesse nicht. Man benötigt Wasser übrigens für alle Verfahren, auch für die Produktion von Biomasse, da die Pflanzen wachsen müssen und dabei erhebliche Mengen Wasser verbrauchen.

Gibt es Alternativen zu Drop-in Kraftstoffen?

Flugzeuge können auch batterieelektrisch oder durch Verbrennung von Wasserstoff angetrieben werden. Wasserstoff ist sogar für Langstreckenflüge interessant. Aber egal ob Batterien oder Wasserstoff, es dauert sehr lange, bis diese Technologien in der Luftfahrt verfügbar sein können. Es vergehen mindestens zehn Jahre, bis ein entsprechendes Flugzeug entwickelt sein kann, und noch deutlich länger, bis sich diese Flugzeuge in der Flotte durchsetzen können. So lange können wir auf keinen Fall warten. Der Luftverkehrssektor braucht unbedingt klimaschonende Drop-in-Kraftstoffe, um die CO2-Emissionen der Branche zügig reduzieren zu können. Doch auch auf diesem Gebiet sind effektive regulatorische Maßnahmen erforderlich, um in naher Zukunft einen substanziellen Fortschritt bei der Nutzung erneuerbarer Kraftstoffe in der Luftfahrt zu erzielen. Technische Lösungen gibt es, doch jetzt gilt es, sie auch anzuwenden.

Herr Roth, vielen Dank für das Gespräch.

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